Thukla - Lobuche (9. November, 4900m)
Nach einer eiskalten Nacht wachen wir erstmals auch mit Symptomen der Höhenkrankheit auf: dies umfasst pochende Kopfschmerzen, Schwindel und es ist uns schlecht. Etwas zu essen erscheint eher unmöglich, aber ohne geht es eben nicht. Also drücken wir uns den Toast hinein. Wir beschliessen nach dem Frühstück zuerst mit genug Zitrone-Honig-Ingwertee im Teahouse zu bleiben und zu warten, bis die Symptome verschwinden, trinken eine grosse Flasche heisses Wasser mit Erkältungstee. Auch psychisch macht uns das zu schaffen. Ist es die Höhenkrankheit? Ist es schon gefährlich? Wird es gehen? Wird es schlimmer? Können wir höher oder nicht? Am Vorabend hatten wir noch David gefragt (der ja Arzt ist, aber natürlich auch keine Diagnose ohne jegliche Untersuchung etc. stellen kann), wie gefährlich es denn sei, “die Höhenkrankheit und so”… Das Problem ist, man kann es nicht genau sagen, ob es sich um die Höhenkrankheit handelt und in welchem Ausmass. Denn von der Anstrengung und Höhe kann man auch Kopfschmerzen bekommen…aber gehen diese wieder weg? Bleiben sie? Sind sie noch im “OK”Bereich oder entwickeln sich gefährliche Hirn-Ödeme? So oder so, Kopfschmerzen sind definitiv kein gutes Zeichen und die Übelkeit ist unerträglich!
Um 09:00 Uhr ist es mehr oder weniger der Fall, dass wir loskönnen und wir entscheiden uns, den Aufstieg nach Lobuche (4900m) zu wagen. Der Weg ist zunächst steil und hart, nach 1.5 Stunden erreichen wir ein erstes Plateau mit einer tollen Aussicht. Dort befindet sich auch ein Denkmal für die Verstorbenen auf dem Mount Everest. Der Ort hat eine kuriose Ruhe die ihn durchdringt, dies wahrscheinlich auch, weil einem die Tragik des Everests jederzeit in Erinnerung gerufen wird. 297 Personen (im Schnitt 4 Personen pro Jahr) insbesondere ganz viele Sherpas sind bei ihrem Versuch den höchsten Berg der Welt zu erklimmen bisher gestorben. Ein sehr viel älterer Mann war uns am Vorabend bereits im Teahouse aufgefallen, er sah ebenfalls recht geplagt aus von der Höhe. Ihn sehen wir hier oben wieder. Manraj erzählt uns später, dass er von dessen Sherpa weiss, dass sein Sohn am Everest gestorben war. Er wollte zu einem der Grabdenkmäler hier oben auf dem Plateau. Die Leichen der Gestorbenen können praktisch nie vom Everest geborgen werden.
Anschliessend an den steilen Aufstieg flacht der weitere Weg aus, es geht etwa 3 km fast flach. Trotzdem kommen wir erst nach zusätzlichen 2 Stunden in Lobuche an. Die Höhe macht uns auf dem flachen Weg so sehr zu schaffen, dass es nur langsam langsam langsam - pistari pistari vorangeht. Und selbst das ist anstrengend. Die Höhe, die Übelkeit, die Anstrengung bleibt nicht ohne Folgen. Auch muss Miri unterwegs zum ersten Mal zu Imodium greifen.
Trotzdem begleitet uns die Schönheit der Berge; die beeindruckende Gegend hier ist überwältigend.
In Lobuche sind wir nach der Ankunft völlig erschöpft und essen baldmöglichst eine Knoblauchsuppe begleitet von Ingwer-Tee. Die Etappe war sehr hart und wir sind während einer halben Stunde kaum in der Lage uns von unserer Bank zu bewegen. Die Symptome bezüglich Kopfschmerzen und Übelkeit halten sich aber einigermassen in halbwegs erträglichen Grenzen, da wir so schnell gegessen und getrunken haben. Das kennen wir nun schon, etwas Essen und Trinken und es wird besser. So kann man die Übelkeit, Schwindel, Erschöpftheit einigermassen aushalten. Es ist etwas verrückt, da man noch einigermassen “normal” läuft, im Teahouse ankommt, und auf einmal völlig fertig ist. Der Körper “bricht” fast etwas zusammen.
Nachdem es uns aber nach dem Essen wieder gut geht sind wir wieder zuversichtlicher. Noch ein einziger weiterer Stop, dann geht es zum Base Camp. Noch 2 Tage. Langsam glauben wir, wir können es schaffen, wenn wir nur noch diese Nacht schlafen können und morgen früh einigermassen mit halbwegs erträglichen Kopfschmerzen aufwachen und irgendwann loskommen, dann könnte es vielleicht klappen? Wir wagen es zu hoffen…
Wir nehmen fleissig unsere Vitamin-Tabletten, Perenterol-Tabletten, Elektrolyte, Erkältungstee. Immer den Medikamentenschrank dabei :).
Wir unterhalten uns mit einem Schweden, dessen Gruppe ebenfalls dort übernachtet. Sie machen die Pässe. Auch bei Ihnen gibt es einige die Höhenprobleme haben. “Aber wenn man wieder runterkommt, wird es immer wieder besser,” meint er.
Im Ort Lobuche sind wir umringt von Bergen, den höchsten Bergen der Welt, beispielsweise Lobuche, Nuptse,… Von Lobuche aus ginge es theoretisch auch zum Pass Kalapatthar. Dieser ist sehr bekannt, von dort aus hat man einen wundervollen Blick auf den Everest. Ursprünglich hatten wir diesen auch einmal auf dem Programm, 5500m; Man geht dort sehr früh hin um dann den Sonnenaufgang über dem Everest zu sehen. Aber es ist natürlich fürchterlich kalt um diese Zeit. Die Idee dorthin zu wandern haben wir schon länger aufgegeben, wir sind froh wenn wir das Base Camp erreichen.
Nachdem wir uns erholt haben richten wir uns auch im Zimmer ein und ein ruhiger Abend mit Kartenspielen folgt. Wir spielen allerdings heute nicht sehr viel. Wir sind dann doch zu kaputt.
Das Zimmer ist recht angenehm, tagsüber gibt es sogar wieder fliessend Wasser, und die Nacht ist vergleichsweise warm nach Thukla. Vergleichsweise warm heisst aber natürlich trotzdem, dass wir mit T-Shirt, Langarmshirt, warmen Langarmshirt, Fliesjacke, langer Unterhose und Mütze im Polarschlafsack schlafen. Versteht sich ohnehin. Wir stellen uns wieder auf eine Nacht ein mit Toilettengängen alle 2 Stunden, Durchschlafen wäre mal wieder so schön!
Auch heute wieder ein positiver Gedanke um sich daran festzuhalten: Wir haben es jetzt also geschafft, wir sind bereits höher als der höchstmögliche Punkt in Europa: Mont Blanc (4810m). An einigen Momenten hatten wir das bereits nicht mehr geglaubt.
Lobuche - Gorakshep (10. November, 5190m)
Die Höhe zollt uns ihren Tribut ab. Erneut wachen wir mit ziemlichen Symptomen der Höhenkrankheit auf. Es ist extrem unangenehm. Wir nehmen eine Ingwer-Travel-Sickness-Tablette; rein natürliche Inhaltsstoffe: Ingwer pur. Schmeckt eklig, hilft aber doch. Wir kämpfen beide mit unserem Frühstück: Tim mit Wasserporridge, Miri kämpft wieder mit einer Scheibe Toast, auch trotz der mitgebrachten Ovomaltine. Jeder Biss verlangt Überwindung. Aber ohne Essen und Trinken wird es nicht besser. Und es muss besser werden; wenn einem so Übel ist und der Kopf so stark pocht bei jedem Schritt, können wir nicht los; Auf dem Tagesprogramm steht die Wanderung nach Gorakshep (5140m). Die letzte Etappe vor dem Base Camp. Dieser Gedanke treibt uns an. Wir scheinen bereit zu sein loszulaufen.
Der Weg ist zunächst sehr flach, in einem Tal geht es gerade aus. Anschliessend gibt es mehrere Anstiege und Abstiege. Vor diesen fürchten wir uns bereits etwas. Diese stellen sich als sehr mühsam heraus, da sie endlos über Gletschergeröll gehen. Das Laufen wird durch das Geröll sehr schwierig und noch kräfteraubender.
Aber dorthin müssen wir erst einmal kommen. Miri merkt bereits einige Meter vom Teahouse entfernt, dass ihr jegliche Kräfte fehlen. Der flache Weg verlangt ihr bei jedem Schritt Kraft ab. Ihr fehlt Energie. Trotzdem kämpfen wir uns vor bis zu den Geröllfeldern.
Über jeden Stein mühen wir uns hinweg. Miri wird immer energieloser und dadurch noch langsamer. Dies ist wahrscheinlich der schwierigste Tag im Bezug auf das Laufen für sie, denn so sehr fehlte noch kein Mal die Energie. Dabei sind es nicht die Muskeln an sich die kaputt sind, sondern der gesamte Körper fühlt sich völlig schlapp an. Die Beine sind bei jedem Schritt endlos schwer, sie bekommt keine Luft.
Videobeweis: Leider ist die Tonqualität sehr amateurhaft, man hört aber Tim wie er ausser Atem ist und sieht Miri in Zeitlupentempo schleichen. Gerne würden wir sagen, die Schnelligkeit ist nur für Videozwecke absichtlich langsam… war aber nicht so. So sind wir wirklich “gelaufen” (bzw. gekrochen). Und zwar mit sehr viel Anstrengung. Der arme Manraj muss ständig auf uns warten…
Weniger Mühe mit den Steinen scheinen allerdings die Yaks zu haben, welche sich grazil durch die Geröllwüste bewegen. Es ist absolut bewundernswert wie sie hier entlang laufen und riesige Gewichte schleppen. Genauso natürlich auch die Porter oder die Guides; die Nepalesen bewegen sich (sofern sie nicht auf uns Westler warten) so geschickt und schnell auf dieser Höhe und diesem Boden, wie wir nicht einmal in Lukla gelaufen sind.
Für 3km brauchen wir 4 Stunden, dies vor allem da Miri wirklich nicht mehr kann. Ihr selbst kommt es nicht einmal so langsam vor, sie läuft so schnell sie “normal” laufen kann. Aber das ist einfach unendlich langsam. Zusätzlich stürzt Miri einmal im Gletschergeröll ohne sich jedoch eine Verletzung zuzuziehen. Das einzige Opfer ist Miris Wanderstock der seit diesem Zwischenfall eine neue Krümmung aufweist. Aber das ist eine Everest-Krümmung, also eher wie eine Auszeichnung ;).
Völlig ausgelaugt kommen wir in Gorakshep an. Glücklich, dass wir uns überhaupt hierher schleppen konnten. Wir sind allerdings nicht die einzigen, denen es schlecht geht. Praktisch alle Personen die man ankommen sieht, ringen nach Atem, sehen kaputt aus. Ausser natürlich die Nepalesen…Glücklicherweise hilft auch hier wieder die Knoblauch-Suppe und der Ingwer, die wir nach unserer Ankunft direkt verzehren. Das gibt Kräfte und lässt durchatmen, es geht uns wieder einigermassen gut.
Gorakshep ist kalt. Nur im Aufenthaltsraum ist es einigermassen erträglich, aber sonst ist es wirklich kalt. Fliessendes Wasser gibt es hier gar nicht.
Unser Abendessen (die übliche Kombo aus Pellkartoffeln, Sherpa Stew, Momos) verbringen wir mit einem 3er-Gespann von welchem eine Person am nächsten Tag aufgrund der Höhenkrankheit ausgeflogen werden muss. Sie waren bereits am Base Camp, aber jetzt geht es ihr sehr schlecht, sie kann nicht mehr selbst absteigen. Sie bekommt Sauerstoff. Auch erfahren wir, dass in Dingboche (4410m), ca. 15km entfernt, eine Chinesin leider an der Höhenkrankheit verstorben ist. Das ist eine erschreckende Nachricht, die alle hier oben erschüttert.
In Gorakshep spielen wir keine Karten mehr. Zu sehr beschäftigt uns unser Zustand, unsere Möglichkeiten, zu kaputt sind wir. Nach einer Erholungsphase diskutieren wir mit unserem Guide Manraj ob das morgige Ziel vom Everest Base Camp realistisch ist. Die heutige Etappe war so kräftezehrend für Miri. Wird sie morgen überhaupt weiter laufen können? Im Moment kann sie sich nicht vorstellen einen Schritt zu tun. Andererseit haben wir von Anfang an von Manraj gehört: wenn wir es bis Gorakshep geschafft haben und es uns am Morgen einigermassen gut geht, dann, dann geht es zum Base Camp. Dann muss man, dann schafft man es zum Base Camp.
Manraj ist jedoch der Meinung, dass Miri es eventuell lassen sollte zum Base Camp zu laufen oder als Alternative allenfalls ein Pferd für 150 Dollar anmieten könnte. Man könnte das Pferd sogar nur mitführen und notfalls benutzen. Denn am heutigen Tag war Miri so langsam und auch schwach, er sieht das als Problem. Vor allem da am morgigen Tag dies auf dem Plan stünde: 3km zum Base Camp (dafür rechnet man etwa 3h), 3km zurück nach Gorakshep, dann weiter absteigen nach Lobuche (inklusive Geröllfeld). Das bedeutet es ist ein weitaus längerer Weg als der heutige. Miri zweifelt, was schafft sie, was schafft sie nicht. Wie stark will sie ihren Körper in dieser Höhe zwingen? Wie ist die Gesundheit? Wie wird es morgen früh gehen? Wir fragen ob es nicht eine Option wäre noch einmal in Gorakshep zu bleiben? Genug Zeit danach an den anderen Tagen hätten wir noch zum Abstieg. Theoretisch ist das möglich, aber Manraj ist über diese Idee überhaupt nicht begeistert. Es ist dort recht kalt (ja) und man schläft in der Höhe nicht sehr gut. Wir zweifeln etwas daran, wir konnten bisher ja immer recht gut schlafen; und die Kälte in Thukla haben wir auch ausgehalten. Zugegeben, die Guides haben hier wirklich einen extrem zugigen Raum in dem sie alle schlafen, also geht es ihm vielleicht auch um sich? Andererseits ist es auch für unseren Zustand besser nach dem Base Camp weiter abzusteigen, Höhe verlieren ist das Beste gegen all die Symptome. Angeblich ist der Abstieg ja immer leichter, da man Höhe verliert. Das Laufen sollte einfacher und schneller gehen. Wir können es nicht wirklich glauben, da uns ja hier oben alles schwer fällt. Also wird das Geröllfeld nicht leichter werden denken wir!
Pferd in Lobuche
Aber es ist entschieden: Miri will es schaffen. Jetzt, am Abend, geht es auch gerade von Kopfschmerzen etc. her. Dieses Angebot schlagen wir also aus, entweder wir schaffen es zum Base Camp mit unseren eigenen Kräften oder wir gehen nicht hin. Wir entscheiden für uns, wenn es uns am morgigen Tag bei der Rückkehr nach Gorakshep nicht gut geht bleiben wir einfach hier. Aber erst müssen wir noch diese Nacht überstehen in der Höhe, einigermassen schlafen können um Kräfte zu haben und die Symptome müssen sich am Morgen einigermassen aushalten lassen, damit wir loslaufen können. Miri ist sehr aufgeregt, hat starkes Herzklopfen, sicher auch durch die Höhe. Wir sind so nahe am Base Camp. 3km. Ca 200 - 300 Höhenmeter. Aber in der Höhe ist für uns einfach jeder einzelne Schritt anstrengend, jeder Höhenmeter mehr macht das Atmen schwieriger. Hoffentlich können wir das morgen schaffen, hoffentlich sind wir in der Lage loszulaufen.